Der verwunschene See

Der verwunschene See

von Riikka Moser (10 Klasse)

Es war einmal in einem hübschen, kleinen Dorf, mitten in einer weiten hügeligen Landschaft. Die nächste größere Stadt war viele Kilometer entfernt. Dort lebte ein Mädchen namens Auri mit ihrer Familie in einem Haus mit kleinem Garten. Gleich nebenan wohnte Auris bester Freund Miko mit seiner Familie. Die Eltern der beiden kannten sich schon seit vielen Jahren und waren gut befreundet, wodurch Auri und Miko schon früh sehr viel Zeit miteinander verbracht hatten.

Am Nachmittag eines unglaublich heißen Tages im Hochsommer war beinahe das ganze Dorf am nahgelegenen See, um sich abzukühlen. Miko schlug vor ein Wettschwimmen zu veranstalten. Auri stimmte sofort zu und so stellten sie sich an den Steg und zählten: „Eins, Zwei, Drei!“. Beide sprangen mit einem Köpfler ins Wasser und schwammen los.

Auri schwamm so schnell sie konnte und achtete nicht mehr auf Miko. Plötzlich packte sie etwas am Fuß und zog sie in die Tiefen des Sees. Sie wollte sich losreißen, tief Luft holen und schreien, aber sie konnte es nicht. (Um sie herum war nur Wasser und sie konnte nicht atmen oder sich irgendwo losreißen, schon gar nicht konnte sie schreien.) Auri wurde immer weiter in die Tiefe gezogen. Das Sonnenlicht verblasste langsam und die Schreie der Kinder aus ihrem Dorf wurden immer leiser, bis sie schließlich ganz verstummten. Sie war vollkommen in Stille und Dunkelheit gehüllt. Einen kurzen Augenblick lang fühlte es sich so an, als wäre die Zeit stehen geblieben. Plötzlich realisierte Auri, dass sie schon viel zu lange nicht mehr Luft geholt hatte und eine Welle von Panik ergriff sie, sie wollte Luft holen, einatmen, doch alles was sie im Mund spürte war kaltes Wasser. Auri wehrte sich gegen den Sog nach unten, sie strampelte und schlug um sich doch sie war nicht stark genug. Sie sank immer weiter nach unten und langsam aber sicher ließen ihre Muskeln nach und ihr Herzschlag verlangsamte sich. Sie sank langsam die letzten Meter hinunter und landete sanft am Grund des Sees. Mit letzter Kraft versuchte das Mädchen noch einmal nach oben zu schwimmen, sie versuchte, nicht das Bewusstsein zu verlieren und an die Oberfläche zu gelangen um wieder Sauerstoff im Körper zu spüren. Aber die Oberfläche schien so unerreichbar, so unendlich weit weg. Es war einfach unmöglich sie zu erreichen. Auris arme sanken zu ihren Seiten hinunter und die Dunkelheit gegen welche sie bis dahin erfolgreich angekämpft hatte gewann schließlich doch die Oberhand und Auri begann zu träumen.

Die Zeit, die Auri unter Wasser verbrachte, war für Miko die reinste Qual. Wie hatte er es nur zulassen können, dass Auri in den See gezogen wurde? Und warum war sie noch nicht wieder aufgetaucht? Sie war eine brillante Schwimmerin, warum war sie so einfach untergegangen? Miko fühlte sich verantwortlich für Auri und für das, was passiert war. Wenn er schneller geschwommen wäre, hätte er sie festhalten können. Er hatte vorgeschlagen ein Wettschwimmen zu machen, er hatte Auri dazu gebracht in den See zu springen. Er, Miko, war wahrscheinlich verantwortlich für den Tod seiner besten Freundin. Diesen Gedanken konnte und wollte er nicht ertragen. Auri war einer der wichtigsten Menschen in seinem Leben. Er musste wissen, was passiert war. Obwohl er es schon versucht hatte, holte er tief Luft, sprang erneut in den See und schwamm soweit er konnte nach unten. Doch ihm ging schon nach wenigen Metern die Puste aus und er musste wieder nach oben um Luft zu schnappen. Miko versuchte es noch einmal und noch einmal, doch ohne Erfolg. Schließlich musste er es sich eingestehen, er würde ohne Ausrüstung nicht zu Auri hinabtauchen können und eine anständige Taucher Ausrüstung hatte mit Sicherheit niemand im Dorf. Miko stieg bibbernd aus dem See und wickelte sich in sein Handtuch. Es war inzwischen Abend geworden und damit auch um einiges kühler. Der Großteil der Leute aus dem Dorf waren schon nach Hause gegangen. Nur mehr wenige saßen auf ihren Handtüchern oder Picknickdecken und niemand war mehr im Wasser. Niemand außer Auri. Miko stiegen Tränen in die Augen. Auri war irgendwo in diesem See, er hatte keine Ahnung wo, keine Ahnung wie es ihr ging, ob sie verletzt war oder ob sie überhaupt noch lebte. Er wusste nur, dass er Schuld daran hatte. Er allein. Er war so wütend und verzweifelt gleichzeitig, dass ihm ganz schwindlig wurde. Plötzlich fasste Miko einen Entschluss! Er nahm sich einen Kübel, setzte sich damit an den Steg und begann damit, das Wasser aus dem See auszuschaufeln. Die Nacht brach herein, umhüllte Miko mit ihrer sanften ruhigen Dunkelheit. Er schaufelte weiter und weiter. Bis er am frühen kalten Morgen den See so weit ausgeschaufelt hatte, dass er den Kopf der schlafenden Auri zu Gesicht bekam. Miko rannte durch das letzte bisschen Wasser hinüber zu ihr und begann vor Freude zu weinen als Auri die Augen aufschlug und ihn ansah. Der Morgentau hing an den Grashalmen und wie durch ein Wunder war Auri nicht tot, sie lebte und war auch nicht verletzt. Er hob sie hoch und trug sie den ganzen Weg zurück ins Dorf. Dort war es angenehm still und es roch gut, denn der Bäcker war schon auf und machte Brot, Kuchen und Semmeln. Als sie bei der Bäckerstube vorbeikamen winkte der Bäcker die Beiden herein und meinte, sie wollen doch bitte ein Stück seine Erdbeertorte kosten. Er war bis tief in die Nacht daran gestanden, um für den Geburtstag seiner Tochter die perfekte Torte zu backen. Der Kuchen schmeckte fantastisch und nach dem kurzen Zwischenstopp gingen Miko und Auri sofort nach Hause und legten sich schlafen, sie waren beide so müde, dass sie bis zum Nachmittag schliefen. Als sie am nächsten Tag wieder zum See gingen, war dieser wie von Zauberhand wieder vollgefüllt und rundherum war nichts mehr nass. Irgendjemand musste noch in der Nacht alles „aufgewischt“ haben. Auri und Miko setzten sich auf ihre Handtücher und verbrachten den restlichen Tag gemütlich am See.

 

Titelbild: Wren Meinberg/Unsplash